Krankenhaus-Logistik: Patientenbezogene Prozessketten verlangen nach Optimierung
Interview mit Dr. Stephan Helm, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Sachsen e.V.
Krankenhaus – das umfasst nicht nur Medizin, sondern auch Organisation, Technik, Infrastruktur und Prozesse. Im Zeitalter der Digitalisierung werden vor allem die Prozesse immer schneller und komplexer. Ob und wie Logistik die Bewältigung dieser Herausforderungen unterstützten kann, beantwortet Dr. Stephan Helm in einem Interview.
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Dr. Stephan Helm ist Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Sachsen e.V. (Leipzig), welche er seit 1991 leitet. Die Gesellschaft repräsentiert als Landesverband im Freistaat Sachsen derzeit 79 Krankenhäuser mit rund 25.800 Krankenhausbetten. Mit circa 45.000 Mitarbeitern sind die Krankenhäuser einer der bedeutendsten Arbeitgeber im Freistaat Sachsen.
Jährlich werden rund 948.000 Patienten behandelt. In der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem Dachverband der Krankenhausträger in der Bundesrepublik, ist Dr. Helm im Haushaltausschuss und im Fachausschuss für Krankenhausfinanzierung tätig. Der promovierte Ökonom hält sich in seiner Freizeit mit Joggen, Badminton, Gartenarbeit und Klavierspielen körperlich und geistig fit. Sein Motto lautet: „Gut, wenn man in Bewegung ist“.
Herr Dr. Helm, wie sollten sich Krankenhäuser für die Zukunft aufstellen, auch im Hinblick auf enormen Kostendruck?
Ein Krankenhaus behandelt Patienten heute sowohl stationär als auch ambulant. Rund 50 Prozent der Leistungen entfallen auf notärztliche Versorgung mit sehr schnellen Prozessen. Die durchschnittliche Patienten-Verweildauer in sächsischen Krankenhäusern ist von 20 bis 22 Tagen auf aktuell 7,5 Tage gesunken. Schnelle Zugänge von Patienten erhöhen den Druck auf leistungsfähige, sichere Diagnostik und zielführende Therapie. Anschließend sollen die geheilten Patienten ein Krankenhaus rasch wieder verlassen – das erwarten die Kostenträger und auch die Patienten.
Manche künftigen Herausforderungen sind bereits absehbar, anderes bleibt vage. Auswirkungen konsequenter Digitalisierung dürften Krankenhäuser ebenso betreffen wie die regional-demografische Entwicklung. Vor allem aber der Kostendruck, der im Gesundheitssystem permanent und aus verschiedenen Gründen besteht. Beiträge und Steuergelder sind immer limitiert, wir haben kein freies Preissystem. Hinzu kommen begrenzte Ressourcen, wie zum Beispiel Personal. Auch der medizinische Fortschritt kann deutliche Kosteneffekte erzeugen, wenn Medikamente zur Behandlung seltener Erkrankungen mehrere hunderttausend Euro kosten. Anstelle stationärer Versorgung gewinnt sektorenübergreifende, integrierte Versorgung an Bedeutung.
Als besondere Schwachstelle des deutschen Gesundheitssystems gilt, dass es mit sehr vielen Brüchen lebt: ambulante Vertragsärzte, stationäres Krankenhaus, Übergang zu Pflege und Rehabilitation. Doch patientenbezogene Prozessketten rufen nach Optimierung. Ich denke, dieses Thema führt künftig zu einer verstärkten logistischen Betrachtung des Gesamtsystems. Denn natürlich wollen wir auch moderne Technologien einführen, wie Miniaturisierung, Robotik, Digitalisierung, Kommunikationslösungen. Im Gesundheitswesen fallen außerdem immer größere Datenmengen an, für deren Aufbereitung und Auswertung leistungsfähige IT-Systeme erforderlich sind.
Welchen Beitrag kann die Logistik dafür leisten?
Der Blick auf Logistik im Gesundheitswesen hat sich verändert und geweitet. Klassisch galt Logistik als Bewegung von Waren, Gütern, Personal und Daten. Lange beschäftigte man sich vorrangig damit, Essen, Medikamente und Wäsche durch ein Krankenhaus zu transportieren. Nun sehen wir, wie sich das Thema einerseits zunehmend an den Bedürfnissen von Patienten und deren Angehörigen orientiert – und andererseits einen starken Support für die Mitarbeiter darstellt. Richteten wir uns früher stark an Strukturen wie Architektur und Facility aus, geht jeder weitere Schritt in Richtung Prozessoptimierung mit höheren Anforderungen an die Logistik einher. Das wiederum verlangt Planung durch Experten, die Alleinstellungsmerkmale von Krankenhäusern kennen und berücksichtigen. Manche großen Einrichtungen haben eigene Logistikabteilungen aufgebaut, andere beauftragen dafür professionelle Spezialisten.
Pharmaindustrie und Apotheken können mitunter nicht permanent liefern. Hinzu kommt die Beschaffungspolitik der Krankenkassen. Müssen Krankenhäuser nun ihre Medikamente, Heil- und Hilfsmittel längerfristig einkaufen und lagern?
Das ist eine Option, die sich gar nicht ausschließen lässt. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wäre es jedoch schwierig, wenn jedes Krankenhaus wieder damit beginnt, sich selbst zu bevorraten. Meiner Meinung nach könnten Einkaufgesellschaften oder neue Verbünde genutzt werden, in denen sich Krankenhäuser zusammenschließen, um sich hinsichtlich der Medikamentenversorgung noch besser als bisher abzusichern. Die Herausforderung einer stabilen Versorgung sehe ich aber eher bei Zulieferern wie Apotheken und Pharma-Großhändlern.
Medizinisches und Pflegepersonal ist gegenwärtig noch mit vielen Tätigkeiten belastet, die dem Patienten nicht direkt dienen. Wie könnte Logistik hier eine Entlastung herbeiführen?
„Patientenferne“ Tätigkeiten erreichen bis zu 40 Prozent. Davon ist nicht alles entbehrlich. Arbeitsteilige, abgestufte Prozesse im Krankenhaus weisen mehrere Besonderheiten auf. Eine davon ist die Mischung zwischen Elektiv- und Notfallmedizin. Ich kenne keine andere Branche, in der die eine Hälfte der Kundschaft auf der Warteliste steht und die andere Hälfte mit dem Rettungsdienst oder per Notaufnahme bedient wird. Moderne Medizin erfordert besondere logistische Absicherung. Wir beschäftigen uns damit, wie sich hier eine Entlastung der Mitarbeiter organisieren lässt. Das wird zum Teil durch neubauähnliche Vorhaben wie „digital unterstütztes Krankenhaus 4.0“ erfolgen. Hierfür kann man vermutlich eine Menge aus Erfahrungen mit industriellen Prozessen ableiten, insbesondere beim Ineinandergreifen unterschiedlicher Organisationen und Strukturen. Auch papiergebundene Prozesse könnten verringert werden. Dafür sollten wir die Logistik positiv und kreativ als Chance kommunizieren.
Sind Lieferketten und Strukturen eines Krankenhauses der Zukunft anders als heute?
Ja. Vereinfacht gesagt, war jedes Krankenhaus früher eine Kubatur mit Betten – also ein rein struktureller Ansatz. Künftig werden sich prozessbezogene Designs bei der Weiterentwicklung von Krankenhäusern durchsetzen. Zentraler Punkt ist die „Lieferkette Patient“ – wo kommt er her und wo soll er hin: Eindeutig ein Thema für die Logistik! Bei der Struktur eines Krankenhauses im Jahr 2030 kommt es darauf an, einen Mix aus ambulanter, stationärer und notärztlicher Versorgung im regionalen Kontext gut zu erfüllen.
Wohin sollten sich Zukunftskonzepte für Krankenhäuser im ländlichen Raum entwickeln, um überall eine bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten?
Medizinische Versorgungsbedarfe im ländlichen Raum werden sich inhaltlich und fachlich von denjenigen in Ballungszentren unterscheiden, unter anderem wegen rückläufiger Patientenzahlen. Eine stärkere Abstufung im Versorgungsangebot der Häuser ist zwingend. Wir brauchen stabile, belastbare Versorgungsnetze mit schnellen Zugängen, moderner Diagnostik und gut abgesicherten Übergaben in die Zentren und auch wieder zurück: Der Patient kommt im ländlichen Raum ins Krankenhaus, wo die Erstdiagnose erfolgt. Ab einem gewissen Schweregrad wird der Patient in ein Zentrum verlegt, von Spezialisten behandelt und anschließend zurückverlegt. Was mir wichtig ist: Es muss funktionierende kommunikative und logistische Verbindungen zwischen Krankenhäusern in den Ballungszentren und im ländlichen Räumen geben. Das erleichtert Entscheidungen wie „bringen wir den Patienten zum Spezialisten oder den Spezialisten zum Patienten“. Schon heute fahren zum Teil Patientenbusse und helfen Teleportale.
Sind Ihnen Krankenhäuser bekannt, die Prozesse bereits nach Lean-Kriterien optimieren?
Selbstverständlich. So erzielte das Universitätsklinikum Leipzig schon große Fortschritte. Bei Neubauten wurde die interne Logistik auf Transportautomation mit Robotik umgestellt. Ein weiteres Beispiel sind die Elbland-Kliniken. Sie haben sich für den Betrieb einer eigenen Wäscherei entschieden und bieten diesen Service zudem umliegenden Krankenhäusern an. Doch auch im Bereich der Aus- und Weiterbildung wurden Lean-Kriterien bereits eingeführt. Hier möchte ich auf große Labore sowie auf Trainingszentren für Chirurgen verweisen. Übrigens, eine Fülle weiterer Informationen und umfangreiches Datenmaterial über sächsische Krankenhäuser finden Sie in der Broschüre „Statistischer Bericht – Krankenhäuser im Freistaat Sachsen“ des Statistischen Landesamtes, die zum kostenlosen Download bereitsteht.
Das LogistikPlan-Interview führte Egbert Sass.
│ Text: Egbert Sass
│ Foto: Dr. Stephan Helm